KategoriePhilosophie

Einen Spalt weit

Im Vorwort von Zwischen Vergangenheit und Zukunft geht Hannah Arendt auf die Entdeckung der Freiheit ein. Sie macht das am Erleben des Schriftstellers Réne Char fest. Am Ende der dritten französischen Republik (1870 – 1940) wurde er Mitglied der Résistance. Diese Organisation kümmerte sich im Untergrund um die Schaffung eines öffentlichen Raumes, in dem die Angelegenheiten des Landes verhandelt und durch Wort und Tat erledigt wurden.
Arendt bring Chars Freiheit nicht mit Handeln in Verbindung, das gegen die deutschen Besatzer gerichtet war. Ihm und seinen MitstreiterInnen sei die Freiheit erschienen, weil sie sich initiativ um diesen öffentlichen Raum gekümmert hätten. Char: Bei jedem gemeinsamen Mahl bitten wir die Freiheit an unseren Tisch. Der Platz bleibt leer, aber das Gedeck liegt bereit. Die Herausforderung bestand in der Aufrechterhaltung der Idee, so Arendt.

Char habe vorausgesehen, das nach dem Krieg wieder zu verlieren. Wenn ich davon komme, werde ich auf das Arom dieser wesentlichen Jahre verzichten müssen.

Der Platz in der Zeit, der weit genug von der Vergangenheit und der Zukunft entfernt ist, von dem aus miteinander kämpfende Kräfte mit einem unparteiischen Auge beurteilt werden können, ist nicht einfach da. Er muss jedes Mal von Neuem geschaffen werden.

Trotzdem der Platz der Freiheit leer bleiben wird, es als erforderlich ansehen, wieder und wieder für sie einzudecken, ist nach Arendt eine Denkerfahrung.

Von der Tätigkeit solche Denkräume zu schaffen, entfernten wir uns, so Arendt weiter, indem wir zusehends auf den Platzhalter Tradition setzten. Dass der Begriff Abnutzung erfuhr und letztlich Ausserkraftsetzung, führte zu allgemeiner Verwirrung.

An dieser Tafel für vier Gäste war für das WIE, als möglichen fünften Gast, eingedeckt. Es sollte für einmal nicht darum gehen, WAS gedacht wird, sondern um die Frage, wie es gelingen kann, denkend einen Spalt offenzulassen, in dem Wahrheit eventuell erscheinen mag.

…und so fort…

Deine Darstellung ist trostlos, aber nur für die Analyse, deren Grundfehler sie zeigt. Es ist zwar so, daß der Mensch sich aufhebt, zurückfällt, wieder sich hebt und so fort, aber es ist auch gleichzeitig und mit noch viel größerer Wahrheit ganz und gar nicht so, er ist doch Eines, im Fliegen also auch das Ruhen, im Ruhen das Fliegen und beides vereinigt wieder in jedem Einzelnen, und die Vereinigung in jedem, und die Vereinigung der Vereinigung in jedem und so fort, bis, nun, bis zum wirklichen Leben, wobei auch diese Darstellung noch ebenso falsch ist und vielleicht noch täuschender als die deine. Aus dieser Gegend gibt es eben keinen Weg bis zum Leben, während es allerdings vom Leben einen Weg hierher gegeben haben muß. So verirrt sind wir.

Franz Kafka

Zwischen den Seiten von Ich und Welt fand sich ein Zeitungsartikel zu Schulz’ Untersuchungen der Geschichte der Ästhetik. Weil ich es, nachdem das Zitat aus der Einleitung kopiert war, meinem Freund schenkte, bleibt das Buch von hier aus gesehen eines, über das man spricht, aber nicht gelesen hat. Ob es die Überlegung enthält, dass Subjektivität, auf die sein Untertitel eingeht, am Ich haftet und kaum anders in der Welt vorkommt? Dass Auseinandersetzungen aus der Vergangenheit – das Buch stammt aus dem Jahr 1979 – es mitunter vermögen, die Gegenwart zu entwirren, stand beim Verschenken im Hintergrund. In erster Linie erhielt der Freund das Buch, weil es ästhetisch ist, einen Verweis zu einem weiteren Buch enthält, das mit Ästhetik befasst ist, und weil ein Antiquar mit ihm ein Schaufenster auf eine Weise ausstattete, die meine Subjektivität zu betreffen vermochte. Ein Ich bespielte die Welt. Sie bespielte daraufhin ein Ich. Und so fort.

Merkmale

Autonom eine Entscheidung fällen zu können, ist davon abhängig, dass einer Person die Frage «Was soll ich tun?» etwas bedeutet und das, wozu sie einen Entscheid zu fällen hat, etwas mit ihr zu tun hat. Die Person soll mit dem Gegenstand der Entscheidung und der Frage dazu identifiziert sein.

Auslegung in der Praxis für die Sachen selbst ist bestimmt durch

Vertrauen darin, dass personales Wachstum möglich ist,

Erfahrung, im Hinblick darauf, dass jede Person in der Lage ist, sich auf sich selbst zu beziehen,

Vermutung, mit der sich vor Augen zu halten ist, eine bestimmte Hermeneutik auf die Narrative der zu beratenden Person zu legen und in einem zweiten Schritt, was ihre Erzählung, unter Beizug phänomenologischer Gesichtspunkte, sein könnte.

Die Gespräche in der Praxis für die Sachen selbst orientieren sich an Beschrieben, an Bildern, an Gefühlen und an der Revision von Dargebrachtem.

Persönliche Revolution besteht niemals darin, plötzlich draufzukommen, sich komplett geirrt zu haben. Der eigene Deutungshorizont verändert sich langsam. Dieser Umstand wird zur Quelle, kristallisieren sich Probleme heraus, um die sich plötzlich das ganze Leben zu sortieren scheint. Unsere Sicht auf das eigene Dasein ist kein Kippbild. Wir sind in der Lage den Spuren zu folgen, die unsere Sichtweise beeinflussen. Wir vermögen es, was bei der Lösung eines Problems als Störung auftritt, als Vorboten anzusehen: Was in Verbindung mit Unlösbarkeit als Störfaktor erscheint, ist dabei oft die Urform der Lösung.

Es lohnt sich, über Wert- und Normvorstellungen zu sprechen. Oft sind hier lähmende Widersprüche zu finden. Die Widersprüche werden bleiben. Die Möglichkeit an ihnen zu wachsen auch.

Pausen

Primäre und sekundäre Sinnesqualitäten, die von der kulturspezifischen europäischen Abstraktionsbasis noch zugelassen werden, treten in der faktischen Wahrnehmung ganz zurück hinter Qualitäten anderer Art, die Brücken leiblicher Kommunikation sind, von der Wissenschaft aber bis heute übersehen werden, weil sie von der Abstraktionsbasis, auf der die Begriffsbildung beruht, verdrängt sind. Es handelt sich in meiner Terminologie um Gestaltverläufe und synsästetische Charaktere. Gestaltverläufe sind Bewegungssuggestionen von Gestalten. Darunter auch von solchen, die selbst Bewegungen sind. Manche Gebärden sind winzige Bewegungen mit wuchtigem, weit auslandenem vielsagendem Gestaltverlauf, der der Gebärde ihren Sinn oder ihre Zudringlichkeit gibt. Denken Sie daran, dass man auf einen nahen Menschen mit dem Finger zeigt. Gestaltverläufe kommen als optische, akustische und taktile vor und können fast unverändert von einem Medium in das andere und in den gespürten eigenen Leib übergehen. Wie zum Beispiel der Rhythmus, das heisst der Gestaltverlauf einer eventuell von Pausen durchsetzten Sukzession. Deswegen schreibt man ja Gedichte, die unter die Haut gehen sollen, eher in rhythmischen Versen als in Prosa.

Hermann Schmitz

Liebe Besucherin, lieber Besucher,
Zurzeit nehme ich in der Praxis für die Sachen selbst keine neuen Aufträge an. Ihre geschätzten Anfragen leite ich gerne an mein Netzwerk weiter. Zu phänomenologischen Aspekten von Beratung wird die Seite weiterhin Updates erhalten.

Zutrauen?

Zutrauen benötigt als Ausdruck einen Bezug. Dieser erste Satz will der Anfang einer doppelten  Inbezugsetzung sein. Erstens wird angenommen, dass es Zutrauen an Eigenständigkeit mangelt, besser gesagt, dass es auf Unterstützung angewiesen ist, um von sich sagen zu können, was es sein will. Zweitens wird es hier als Ausdruck gesehen, der auf seine innere Beschaffenheit untersucht werden kann.

Auf den ersten Blick mag die Vielseitigkeit des Ausdrucks edel wirken. Aber dadurch, dass er versucht, sich einer Moral zu enthalten, ist er stummer Steigbügelhalter. Als Ausdruck ist Zutrauen leer, weil es keinen eindeutigen Kontext für ihn gibt. Er kann dafür verwendet werden, einen Mord, fürsorgliche Absichten aller Art als auch Eigenschaften wie Habgier oder Romantik zuzuschreiben. Autonom nimmt er für sich darüber hinaus in Anspruch, Mut zu propagieren. Auf die Frage Mut wozu? gibt er jedoch keine Antwort. Auf sich selber deutend, lässt Zutrauen offen, was es ausdrücken will und bleibt dazu sibyllinisch, wie es erlangt werden kann.

Als Zauberwort des Humanismus verstanden, wird Zutrauen hier in einem Atemzug mit denkenden Tieren genannt. Wobei Menschen keinesfalls mittels Dressur dazu gebracht werden sollten, es zu zeigen. Die beste Art (in Anlehnung an ein Zitat von Paul Feyerabend) Menschen Zutrauen zu vermitteln, besteht darin, sie gegen systematische Versuche, sie zutraulich zu machen, zu immunisieren.

Auf den zweiten Blick ist Zutrauen ermöglichende Zwischenmenschlichkeit. Es ist von Menschen  abhängig. Ihre Rollen und ihre Aufgaben sollten an seinem Erwerb oder an seinem Erhalt ausgerichtet sein. An den Tag gelegtes Zutrauen ist wirklichkeitsnahes, gelebtes Sein, das Menschen stärkt und kräftigt.

Solches Zutrauen wird unter anderem durch Argwohn und Unsicherheit bedroht. Erfährt es weder verantwortliche Redeweise noch konkrete, gegenwartsbezogene Handreichungen, ist sein Auftritt gefährdet. Zutrauen appellatorisch, mit abstrakter Vernunft, einzufordern, vertreibt es genauso. Es benötigt wachstumsfördernde Gelegenheiten. Die Orientierung am vertrauensvollen Sein eines Gegenübers steht dabei zuvorderst.

Zutrauen, als Konstruktion oder Rationalisierung eines Menschen, läuft Gefahr zu überschiessen und sich in leutselige, herablassende, übermütige oder verpflichtungslose Freundlichkeit, beziehungsweise  Gutgläubigkeit zu verwandeln. Überdies ist die Verlockung gross mit solchem Zutrauensüberschuss die Frage nach dem Sinn des Lebens höher zu gewichten, als Tätigkeiten, die das Leben an etwas Konkretes binden

Als mögliche Herausforderin von Zutrauen soll nun Skepsis zu Wort kommen, an der Dasein  geradeso gut festmachen kann. Wird Skepsis derselben (eingangs gemachten) Inbezugsetzung preisgegeben, wird von ihr also angenommen, dass sie auf Helferinnen angewiesen ist, um von sich sagen zu können, was sie sein will, pariert sie das leichtfüssig. Sie brüstet sich dabei weder mit ihrer griechischen Vergangenheit, die sie im Gegensatz zum Zutrauen vorzuweisen hat, noch pocht sie als Ausdruck darauf, vielseitig zu sein. Sie steht eindeutig für das Zögern. Das betrachtet sie als Notwendigkeit. Mit dem Mut steht sie auf einer Stufe. Mut zur Skepsis klingt nach einem fruchtbaren Wechselspiel. Im Vergleich dazu hört sich Mut zum Zutrauen etwas gesucht an.

Treten die beiden Ausdrücke gegeneinander an, ist Zutrauen im Nachteil. Auch wenn Anwendungsfälle denkbar sind, in denen es die bessere Figur macht. Einer Person, die einen zynischen Umgang mit sich selbst pflegt, ist es bedarfsweise hilfreicher, das Zutrauen eines Mitmenschen zu meditieren, statt skeptisch über den Nutzen von Selbstzynismus zu rätseln. Sobald Geringschätzung und Herablassung an ein Du gerichtet sind und es darum geht, solches Tun einzugrenzen oder in seine Schranken zu weisen, wird der Vorteil der Skepsis sichtbar. Währenddessen Zutrauen in diesem Fall verängstigt in die philanthropische Trickkiste zurück krebst, kämpft Skepsis mit einem Subjekt, das Fremdes abwertet, indem es ihm eine bestimmte Offenheit aufzuzwingen sucht. Ein solches Subjekt kann mittels Skepsis immerhin zu seinen Gewissheiten befragt werden, die es dazu hat, dass seine Fremdabwertung gerechtfertigt ist.

Auch Überbetonung von Skepsis ist Menschen abträglich. Eine solche Überbetonung kann geschwächt werden, wenn die Frage im Spiel bleibt, worauf sich Skepsis bezieht. Dazu hat Zutrauen etwas zu sagen. Kaum lässt es sich auf das Wagnis ein, erwähnte Stufe zu erklimmen und sich zwischen der Skepsis und dem Mut aufzustellen, wird seine Autorität in Verbindung mit Austausch beobachtbar.