Phänomene sind quirlig. Sie mögen Unmittelbarkeit. Unmittelbarkeit ist an Gegenwart festgemacht. Sie hängt an der Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft. Die Vorstellung gehört den betroffenen Subjekten.
Einem Subjekt hilft es, kleinräumig zu bleiben, um in die Nähe eines Phänomens zu gelangen.
Nachfolgendes geht auf Beratungspraxis ein, die sich an Joachim Lemperts Methode orientiert.1Als eine weitere Ausprägung der humanistischen Psychologie wird sie seit 2012 Phaemo-Methode® genannt. Das Kunstwort Phaemo® umschliesst Phänomen und Emotion. Während Hilarion Petzold erklärt;
[Es] kann nicht bei den Phänomenen stehen geblieben werden[,]
Integrative Therapie, 1. Klinische Philosophie, S. 16
postuliert Joachim Lempert:
Jedoch sehr wohl in ihrer Nähe!
Er verknüpft pädagogische, beraterische, als auch therapeutische Handreichungen eng mit der Neuen Phänomenologie. Im Zentrum seiner Landschaft steht das phänomenologische Wahrnehmungsmodell.
Was unmittelbar da ist, während Klientinnen und Klienten in der Beratungsstunde mit Sachen, anderen Menschen oder sich selbst befasst sind, ist in meiner Praxis von Belang. Zuerst bezogen auf Gegenwart und Struktur. So wird beispielsweise strukturell zwischen Empfinden, Fühlen und Gefühl unterschieden. Mit Empfinden ist das bezeichnet, was Menschen körperlich wahrnehmen (Jucken, Muskelspannung). Gefühle werden räumlich verstanden. Eher soziologisch, überindividuell, atmosphärisch. Mit Fühlen ist das gemeint, was an solcher Atmosphäre gespürt wird. Dass Gefühle nicht in erster Linie in Menschen, sondern in Räumen zu Hause sind, findet sich beim Kieler Philosophen Hermann Schmitz. Er hat ein philosophisches System namens Neue Phänomenologie2Interview mit Hermann Schmitz entwickelt. Im Gegensatz zum Begründer der Phänomenologie, Edmund Husserl, der von 1859 bis 1938 im deutschsprachigen Europa gelebt hat, stellt Hermann Schmitz auf Sachverhalte und nicht einfach auf Sachen ab. Husserl geht mit seinem Appell «Zu den Sachen selbst!» davon aus, dass sich eine Sache mittels Reduktion der Wirklichkeit genau bestimmen lässt. Ich zeige auf die Sache und sage, was sie ist. Schmitz zweifelt das an, indem er fragt: «Was zwingt mich, etwas zu einer Zeit an einem Ort gelten zu lassen?»3 Schmitz, H. (2014). Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie (4. Auflage). Freiburg München, Verlag Karl Alber Bei Schmitz ist aus bestimmten Gründen mein Fingerzeig infrage gestellt und daher von Revision der Wirklichkeit die Rede.
Der Phänomenologie ist diese philosophische Untersuchungsweise für die Praxis entlehnt. Es geht um die Sache und ihre Erscheinung. Solche Untersuchung ist mit der Prüfung verknüpft, wie die erscheinende Sache verstanden, was zu ihr wahrgenommen und gedacht wird.4Zahavi, D. (2007). Phänomenologie für Einsteiger. Paderborn, Fink, S. 13 Von mir aus gesehen, als derjenige, der auf eine Sache zeigt, geht es gleichzeitig um das Beschreiben der Sache, das Beschriebene und mich als beschreibende Person. Die Frage nach dem Phänomen ist der Versuch, sich dem zuzuwenden, was jetzt gerade ist. Sie ist mit der Frage nach der Ursache zwar verwandt, die Fragen verbindet Neugierde und Forschungsgeist, was sie trennt, ist die Forderung nach Ergebnissen. Es geht in der Beratung darum, die Ursachenforschung in den Hintergrund treten zu lassen und sich auf die Darlegung von aktuellem, gegenwärtigemDasein und Betroffensein zu konzentrieren. Menschliches In-der-Welt-Sein soll für einen Moment weder Dekonstruktion, noch Konstruktion ausgeliefert sein.
Um zu vertiefen, was mit phänomenologischer Sicht gemeint sein könnte, wollen wir nun auf die Betrachtungsweise eines Zwölfjährigen eingehen. Als der Eigner nachfolgender Geschichte in diesem Alter war, versuchte ihm sein Vater, ein erfahrener Pädagoge, auf eine Prüfung hin, vergeblich den Sinn von Sprichwörtern zugänglich zu machen. An der Prüfung wurde der Erzähler (und Eigner) der Geschichte zur Bedeutung von «Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm» befragt. Er schrieb: «Ja, das stimmt, aber wir wohnen an einem Hang». Wenn wir nun Hermann Schmitz‘ Frage nehmen: «Was muss ich zu einer Zeit, an einem Ort gelten lassen?», lässt sich anhand dieser Geschichte feststellen, dass ein Ich gegenwärtig und räumlich jeweils präzise an einer Stelle sein kann. Während der Eigner sie mir erzählte, lachten wir beide herzlich. Für den Eigner der Geschichte war sein Metaphern-Erlebnis als Kind mit Unverständnis und Ärger verbunden. Das in seinen Augen Offensichtliche wurde (durch eine erwachsene Position) in Mitleidenschaft gezogen.
Ein Ich kann in der Gegenwart alles sein. Es kann sich als Kind vorstellen, ein alter Mann zu sein. Als alter Mann kann das Ich in seiner Erinnerung zu seiner Kindheit zurück. Solches (vorgestelltes) Sein unterscheidet sich jedoch fundamental von dem, was ein Ich, phänomenologisch verstanden, unmittelbar umgibt und betrifft. Das ist die Ausgangslage in meiner Beratungspraxis. Was ist hier? Jetzt? In diesem Moment? Mit mir los? Was sehe ich? Was höre ich? Was denke ich? Und was empfinde ich dabei?
Gefühle stellen die Verbindung zwischen uns und der Welt dar. Was in der Welt an Phänomenen aufscheint, ist mit Gefühlen verbunden, welche wir mit originär überschreiben wollen. Bewertung wollen wir auf Abwertungen untersuchen. Das ist in der Praxis als Vorhaben höher gewichtet, als Interpretation auf Missinterpretation zu untersuchen.
Das steht in Verbindung mit einer anderen Form von Gefühlen. Sie sind auf Lemperts phänomenologischem Wahrnehmungsmodell mit derivat bezeichnet.5vgl. Lempert, J. & Oelemann, B. (2006). Handbuch der Gewaltberatung (2. Aufl.). Hamburg, OLE-Verl.
Zur Qualität von Gefühlen wird zuerst geschaut, wie sie zu den Phänomenen passen und wie lange sie andauern. Dazu sind Ichs auf Selbstzugänglichkeit6Jaeggi, R. (2016). Entfremdung: zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems: mit einem neuen Nachwort (Erste Auflage). Berlin, Suhrkamp, S. 183 angewiesen. Dem Beratenden und der Person, die sich beraten lässt, stellt sich die Aufgabe gleichermassen: Sich mit der eigenen Empfindungskompetenz in der Beratungsstunde einzubringen. Ich zeige mich in der Interaktion mit einem Gegenüber mit dem, was ich bei mir wahrnehme, während mir mein Gegenüber von sich erzählt. Ein originäres Gefühl hängt am Phänomen, feuerwerksgleich, wird gross, vergeht und wird durch ein neues Gefühl abgelöst. Hermann Schmitz sagt dazu in seinem Buch Leib und Gefühl, dass die Faszination und das Ergriffensein, auf das alltägliche, zwischenmenschliche Erleben bezogen, als zentral anzusehen sind. Auch Menschen mit wenig Begabung, sich körperlich auszudrücken (beispielsweise tanzend), sind in der Darbietung ihrer Affekte durch Gebärden nicht behindert. Demnach kann sich kein Subjekt zu seinem affektiven Betroffensein ganz gleichgültig stellen.7vgl. Schmitz, H. (2008). Leib und Gefühl: Materialien zu einer philosophischen Therapeutik (3., erw. Auflage). Bielefeld Locarno, Ed. Sirius In seinem letzten Buch, «Ausgrabungen zum wirklichen Leben» schreibt Schmitz: «Nicht, was der Mensch sich vornimmt, sondern das, was er frisch im Augenblick als Gesinnung in sein affektives Betroffensein einsetzt, und damit die Art, wie er als affektiv Betroffener jeweils bei der Sache ist, gibt ihm kausale Macht, aus eigener unabhängiger Initiative.»8Schmitz, H. (2016). Ausgrabungen zum wirklichen Leben: eine Bilanz (Originalausgabe). Freiburg, Verlag Karl Alber, S. 130
Auf das Wahrnehmungsmodell übertragen: Solchem Betroffensein stehen Interpretation und Bewertung gegenüber. Sie sind die Platzhalter für das Verstrickt-Sein mit Subjektivität. Ohne Austausch mit der Welt und den Menschen, auf sich zurückgeworfen, ist für ein Ich Entfaltung schwierig zu bewerkstelligen. Selbstredend ist hier an Austausch und an Menschen gedacht, die Entfaltung ermöglichen. An Interpretation und Bewertung hängen auch derivate Gefühle. Sie werden als statisch und abrufbar empfunden, sind immer da. Wie eine Fototapete, die langsam vergilbt. Derivat wird hier im Sinne von Ableitung verwendet. Schönheit wird von schön abgeleitet. Solche Gefühle können auch mit «von Gedachtem abgeleitet» oder mit «hausgemacht» bezeichnet werden. Um auf die eigene Empfindungskompetenz zurückzukommen: Was Personen, die sich von mir beraten lassen, zu ihrem Sein in der Welt erzählen, wirkt nicht bloss inhaltlich. Mit meinem Betroffensein bringe ich mich fallabhängig dann ein, wenn es sich vom Betroffensein meines Gegenübers unterscheidet. Gerade in Zusammenhang mit derivaten Gefühlen. Schulz von Thun sagt es so: «[Der Schüler] ist (…) umgeben von Richtern (Lehrern) und Rivalen (Mitschülern) – Er muss “gut” sein und mehr noch: er muss besser sein als die anderen, um auf den “grünen Zweig” zu kommen. Die Angst vor Richtern und Rivalen kommt also nicht von ungefähr. Darüber hinaus wird die Angst jedoch meist zu einem ständigen Lebensbegleiter und auch auf solche Situationen übertragen, die an sich keinen Wettbewerbs- und Tribunalcharakter tragen.»9Schulz von Thun, F. (1981). Miteinander reden: Störungen und Klärungen: Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation (Originalausg). Reinbek bei Hamburg, Rowohlt, S. 106
Herauszufinden, wann es sich lohnt, Angst zu haben, ist essenzielles Beratungsziel. Die Qualität des Gefühls spielt dabei die Hauptrolle. An seiner Stimmigkeit hängt das Phänomen. Wir sind dann in der Nähe eines Phänomens, wenn Gefühle bengalisch aufleuchten. Um das Aufleuchten zu beschreiben, eignen sich Wörter wie: enthusiastisch, matt, verliebt, taub, erniedrigt, ungeduldig, aufgeregt, nervös, leidvoll, demütig, knorrzig, attraktiv, glücklich, verunsichert, verwirrt, spitz, mitleidig, erregt, geil, gedemütigt, neugierig, hilflos, hoffnungslos, erschrocken, angewidert, ehrgeizig, verletzt, hasserfüllt, stolz, einsam, gerührt, romantisch, verbunden, angenommen, erhaben, traurig, wütend, ängstlich, schamvoll, zuversichtlich, erleichtert, vorfreudig, freudig, gelangweilt, sehnsüchtig, enttäuscht, frei, lustlos, stumpf, ohnmächtig, verliebt, hoffnungsvoll, ärgerlich, gekränkt, bedrückt, angeekelt, fröhlich, beklemmt, mutig, neidisch, bedrängt, lustvoll, heiter, dankbar, panisch, erschlagen, geborgen, verzweifelt.
Diese gemeinsame Basis ist als Raum gedacht, in dem die zu beratende Person Boden der Tatsachen erfahren kann. Um es mit Hilarion Petzold zu sagen: «Man kann wahrnehmend ”auf dem Boden der Tatsachen“ mit der Wirklichkeit in Kontakt kommen oder in ”elementaren Erfahrungen“.»10Petzold, H. (1993a). Integrative Therapie. Bd. 1: Klinische Philosophie. Paderborn, Junfermann, S. 515
Zur Selbstzugänglichkeit, welche die Philosophin Rahel Jaeggi in «Entfremdung» entwickelt, gehört emotional adäquate Reaktion. Damit meint sie, die Fähigkeit zu haben, beispielsweise bei Verlusten und Kränkungen zu trauern und sich auf diese Reaktionen beziehen zu können. Ein adäquates Selbstverständnis ist in der Lage, solche Reaktionen zu integrieren, ein inadäquates unterdrückt sie.
Während die Psychologie fordert, die Menschen müssten wieder lernen zu empfinden11vgl. Gruen, A. (2013). Dem Leben entfremdet: warum wir wieder lernen müssen zu empfinden. Stuttgart, Klett-Cotta, fragt die Philosophie nach dem Was. Was ein Gefühl ist, unterliegt grossen theoretischen Widersprüchen. Für die Praxis leitet sich daraus ab, definitorisch Vorsicht walten zu lassen. Hierbei hilft der Psychologe Hilarion Petzold, der in seinen Grundlagen die Weitläufigkeit der Gefühle und des Fühlens, als auch die Notwendigkeit von Einteilungsversuchen (durch die Psychologie und die Philosophie) anerkennt und einer bestimmten Ontologie folgt.12vgl. Petzold, H. (1993a). Integrative Therapie. Bd. 1: Klinische Philosophie. Paderborn, Junfermann Petzold hält sich seinerseits an Schmitz, der die Wirklichkeit, wie gezeigt, an unwillkürliche Lebenserfahrung bindet.
Gefühle bewerten ist zwecklos. Sie sind alle gleich wichtig. Vielmehr geht es um einen, einer Sache entsprechenden, Umgang mit Angst oder Ärger.
Ganz in der Nähe eines adäquaten Umgangs mit Gefühlen findet sich auch der zu den Verhältnissen passende Zugang zu Aggression. Sie muss an den Tag. Im Traum knirscht sie mit meinen Zähne.13vgl. Juul J. (2013). Aggression, Warum Sie für uns und unsere Kinder notwendig ist. S.Fischer Verlag, Frankfurt Ob ich verbal erschlagend, wuchtig bin, um mein Gegenüber umzustimmen, es in eine bestimmte Richtung zu drängen oder ob ich mit meiner Aggression für die Einhaltung meiner Grenzen sorge, unterscheidet sich dramatisch.
Es gibt drei weitere Modelle, die in Verbindung mit dem Vorhaben, jemandem Selbstzugänglichkeit zu ermöglichen, wichtig sind. Nach Joachim Lemperts Kontaktmodell14das sich auf die Kontaktstörungen von L. und F. Perls und Hilarion Petzolds Konzept des Kontakts bezieht lässt sich Interaktion zwischen Menschen drei Kategorien zuweisen: Konfluenz, oder anders gesagt, Verschmelzung, Kontakt und Isolation. Das wechselt sich idealerweise ab. Interaktion wird dynamisch verstanden. Dazu ist an das ansteckende Lachen zu denken, das eine Gruppe vereinnahmt (hier wird von Konfluenz gesprochen) oder an zwei in sich gekehrte Menschen, die sich gegenübersitzen (hier ist von Isolation die Rede). Kontakt ist demgegenüber das, was an den Grenzen von Menschen stattfindet. Je spürbarer ein Ich ist, desto einfacher ist es für das Ich und sein Du, miteinander in Kontakt zu sein und wahrzunehmen, um was es geht, was sie sich wünschen, was sie benötigen, was sie wollen.
Das ermöglicht in der Praxis gegebenenfalls Resonanzverhältnisse, wie sie der Sozialphilosoph Hartmut Rosa beschreibt, um auf das zweite Modell zu kommen. Er versteht Resonanz als Gegenbegriff zu dem, was auf Steigerung von Weltverfügbarkeit und Vergrösserung von Reichweite ausgerichtet ist. Ihm geht es um eine empathische Art des in der Welt seins. Resonanz soll Begegnung mit uns selbst und der Welt ermöglichen. Menschen geht es nicht nur darum, geliebt und anerkannt zu sein, sie sehnen sich, so Rosa, auch nach Momenten unmittelbaren Kontakts, nach ungeteilter Aufmerksamkeit. Rosa geht es nicht um Gleichklang, sondern um diese Merkmale: Ich werde affiziert, berührt, indem mir beispielsweise eine andere Stimme begegnet. Ich antworte körperlich, gedanklich, emotional auf diese Begegnung. Das Wechselverhältnis beginnt sich zu entfalten. Die Folge davon ist eine Transformation, indem ich mich von einer Stimme habe berühren lassen und dieser Berührung so begegnet bin, dass ich mich dabei verändere. Den Grundmodus nennt Rosa Hören und Antworten. Solche Resonanzbeziehungen lassen sich nicht systematisch herstellen.15vgl. Rosa auf dem Youtubekanal der Heinrich Böll Stiftung über die Soziologie des guten Lebens In «Unverfügbarkeit» sagt er dazu: «Fatalerweise ist es just die Wahrnehmung, dass wir mit dem Gegenüber noch nicht fertig sind, dass da noch etwas ist, welche uns dazu verleitet, dieses Gegenüber gleichsam festzustellen, um es nach Belieben verfügbar zu haben, um sich jederzeit wieder darauf einlassen zu können»16Rosa, H. (2018). Unverfügbarkeit. Wien Salzburg, Residenz Verlag, S. 59. Mit Unverfügbarkeit meint Rosa auch, dass bei zustande gekommenen Resonanzverhältnissen offen ist, wie sie ausgehen. Sich auf Resonanz einlassen heisst, ein Wagnis eingehen. Was das Ergebnis des Resonanzprozesses sein wird, kann nicht vorausgesagt werden. Rosa geht es um das Zurücktönen, was voraussetzt, weder im kompletten Gleichklang, noch in gänzlicher Dissonanz zu sein.
Das bringt uns zum dritten Modell; Petzolds fünf Säulen der Identitität. Auch mit diesem Modell soll ein Gegenüber nicht festgestellt werden. Es ist eine Einteilungshilfe für phänomenologisches Suchen und Finden, um während einer Beratungssunde eine Momentaufnahme zu einer Lebenssituation zu machen. Für Petzold sind Ichs von Zeitlichkeit, Leiblichkeit und Sozialität betroffen. Etwas feiner eingeteilt, lässt sich zur Identität eines Ichs zwischen Leiblichkeit, sinnstiftender Tätigkeit, materieller Sicherheit, sozialen Beziehungen, sowie Werten und Normen unterscheiden. Das unzeitgemässe Wort Leiblichkeit meint mehr als Körper. Was ein 60jähriger an leiblicher Erfahrung hat, geht über solche Erfahrung eines 6jährigen hinaus. Sinn stiftende Tätigkeit ist für einen Jungen im Kindergarten etwas anderes, als für einen Rentner. Auch zu materieller Sicherheit und sozialen Beziehungen werden der Alte und der Junge unterschiedliche Zugänge haben. Ebenso zu Normen und Werten. Wird mit dem Modell gefragt: Was ist hier? Jetzt? In diesem Moment? Was siehst du? Was hörst du? Was denkst du? Und was empfindest du dabei? wenn es also nicht möglich ist, sich zu den Säulen in der Vergangenheit oder in der Zukunft zu bewegen, stellt sich heraus, dass die Säulen unterschiedlich belastbar (im Krisenfall: betroffen), jedoch nie gleichzeitig inexistent sind.
Durch phänomenologische Betrachtung wird gegebenenfalls aus verloren Gedachtem Vorhandenes. Mitunter gerät, ohne zu vernünfteln oder zu psychologisieren, (Handlungs-)Vermögen in den Blick, auf das sich ein Ich beziehen kann.
Zutrauen benötigt als Ausdruck einen Bezug. Dieser erste Satz will der Anfang einer doppelten Inbezugsetzung sein. Erstens wird angenommen, dass es Zutrauen an Eigenständigkeit mangelt, besser gesagt, dass es auf Unterstützung angewiesen ist, um von sich sagen zu können, was es sein will. Zweitens wird es hier als Ausdruck gesehen, der auf seine innere Beschaffenheit untersucht werden kann.
Auf den ersten Blick mag die Vielseitigkeit des Ausdrucks edel wirken. Aber dadurch, dass er versucht, sich einer Moral zu enthalten, ist er stummer Steigbügelhalter. Als Ausdruck ist Zutrauen leer, weil es keinen eindeutigen Kontext für ihn gibt. Er kann dafür verwendet werden, einen Mord, fürsorgliche Absichten aller Art als auch Eigenschaften wie Habgier oder Romantik zuzuschreiben. Autonom nimmt er für sich darüber hinaus in Anspruch, Mut zu propagieren. Auf die Frage Mut wozu? gibt er jedoch keine Antwort. Auf sich selber deutend, lässt Zutrauen offen, was es ausdrücken will und bleibt dazu sibyllinisch, wie es erlangt werden kann.
Als Zauberwort des Humanismus verstanden, wird Zutrauen hier in einem Atemzug mit denkenden Tieren genannt. Wobei Menschen keinesfalls mittels Dressur dazu gebracht werden sollten, es zu zeigen. Die beste Art (in Anlehnung an ein Zitat von Paul Feyerabend) Menschen Zutrauen zu vermitteln, besteht darin, sie gegen systematische Versuche, sie zutraulich zu machen, zu immunisieren.
Auf den zweiten Blick ist Zutrauen ermöglichende Zwischenmenschlichkeit. Es ist von Menschen abhängig. Ihre Rollen und ihre Aufgaben sollten an seinem Erwerb oder an seinem Erhalt ausgerichtet sein. An den Tag gelegtes Zutrauen ist wirklichkeitsnahes, gelebtes Sein, das Menschen stärkt und kräftigt.
Solches Zutrauen wird unter anderem durch Argwohn und Unsicherheit bedroht. Erfährt es weder verantwortliche Redeweise noch konkrete, gegenwartsbezogene Handreichungen, ist sein Auftritt gefährdet. Zutrauen appellatorisch, mit abstrakter Vernunft, einzufordern, vertreibt es genauso. Es benötigt wachstumsfördernde Gelegenheiten. Die Orientierung am vertrauensvollen Sein eines Gegenübers steht dabei zuvorderst.
Zutrauen, als Konstruktion oder Rationalisierung eines Menschen, läuft Gefahr zu überschiessen und sich in leutselige, herablassende, übermütige oder verpflichtungslose Freundlichkeit, beziehungsweise Gutgläubigkeit zu verwandeln. Überdies ist die Verlockung gross mit solchem Zutrauensüberschuss die Frage nach dem Sinn des Lebens höher zu gewichten, als Tätigkeiten, die das Leben an etwas Konkretes binden.
Als mögliche Herausforderin von Zutrauen soll nun Skepsis zu Wort kommen, an der Dasein geradeso gut festmachen kann. Wird Skepsis derselben (eingangs gemachten) Inbezugsetzung preisgegeben, wird von ihr also angenommen, dass sie auf Helferinnen angewiesen ist, um von sich sagen zu können, was sie sein will, pariert sie das leichtfüssig. Sie brüstet sich dabei weder mit ihrer griechischen Vergangenheit, die sie im Gegensatz zum Zutrauen vorzuweisen hat, noch pocht sie als Ausdruck darauf, vielseitig zu sein. Sie steht eindeutig für das Zögern. Das betrachtet sie als Notwendigkeit. Mit dem Mut steht sie auf einer Stufe. Mut zur Skepsis klingt nach einem fruchtbaren Wechselspiel. Im Vergleich dazu hört sich Mut zum Zutrauen etwas gesucht an.
Treten die beiden Ausdrücke gegeneinander an, ist Zutrauen im Nachteil. Auch wenn Anwendungsfälle denkbar sind, in denen es die bessere Figur macht. Einer Person, die einen zynischen Umgang mit sich selbst pflegt, ist es bedarfsweise hilfreicher, das Zutrauen eines Mitmenschen zu meditieren, statt skeptisch über den Nutzen von Selbstzynismus zu rätseln. Sobald Geringschätzung und Herablassung an ein Du gerichtet sind und es darum geht, solches Tun einzugrenzen oder in seine Schranken zu weisen, wird der Vorteil der Skepsis sichtbar. Währenddessen Zutrauen in diesem Fall verängstigt in die philanthropische Trickkiste zurück krebst, kämpft Skepsis mit einem Subjekt, das Fremdes abwertet, indem es ihm eine bestimmte Offenheit aufzuzwingen sucht. Ein solches Subjekt kann mittels Skepsis immerhin zu seinen Gewissheiten befragt werden, die es dazu hat, dass seine Fremdabwertung gerechtfertigt ist.
Auch Überbetonung von Skepsis ist Menschen abträglich. Eine solche Überbetonung kann geschwächt werden, wenn die Frage im Spiel bleibt, worauf sich Skepsis bezieht. Dazu hat Zutrauen etwas zu sagen. Kaum lässt es sich auf das Wagnis ein, erwähnte Stufe zu erklimmen und sich zwischen der Skepsis und dem Mut aufzustellen, wird seine Autorität in Verbindung mit Austausch beobachtbar.
Machen Sie sich bei mir auf die Suche nach liebevollen Formen des Selbstbezugs. Falls erforderlich, gebieten wir Drei Finger zeigen auf dich, während du auf andere zeigst! Einhalt.
Ich klettere auf die Befestigung des Ufers. Ich blicke in den Fluss. Ich setze mit Selbstverständlichkeit einen Grund voraus. Das Wasser ist klar. Was zu sehen ist: Umfassende Dunkelheit. Das Reissen des Stroms. Im Namen des Phänomens, des originären Gefühls, der Interpretation, der Bewertung und allem Abgeleiteten beherzt zu fragen, was ich gelten lassen muss, gerät ins Wanken.
Im Fluss. Ich stehe auf einem grossen schweren Stein. Er wird von Sand und kleineren Steinen getragen. Ich steige ins kalte Wasser. Ich tauche ein. Ich tauche auf. Was vom Stein aus dem Strom ragt, bietet mir Rauheit und Sommerwärme. Aufwärmen. Zu mir gehört, von einem Fluss umgeben zu sein und die Annahme, dass die Tage des festen Sitzes des Steins gezählt sind. Angst ist eine grosse Kraft. Wie Trauer, Ärger, Freude, Glück, Scham. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen.
Bei der Aufnahme einer Krisensituation lohnt es sich über Ihre Wert- und Normvorstellungen zu sprechen. Oft sind hier lähmende Widersprüche zu finden.
Die Widersprüche werden bleiben. Die Möglichkeit, an ihnen zu wachsen, auch.
Wer zuerst von Das Problem ist der Andere! ausgeht, liefert sich Geschehen auf eine bestimmte Weise aus. Sobald Sie diesen Satz auf sich beziehen, steht Ihnen ein weites Feld offen: Sie sind es, der problematisiert.
Ich will Ihnen immanente Kritik zugänglich machen und Sie so in die Lage bringen, die Verantwortungsfrage zu beleuchten.
Mit diesem Programm lässt sich Gesagtes mit Zorns (Schein-)Argumente-Sammlung aus Logik für Demokraten abgleichen.
Ich nutze es zuerst, um auszuschliessen, dass selbst Gesagtes, das sich an ein Du richtet, auf dogmatische Setzung, Attacke gegen die Person usf. abstellt. Demokratisches Handeln und Denken erfordert tägliche Praxis, soll es der reflexiven Freiheit verpflichtet sein.