KategorieWachstum

Phaemo® und Soziale Arbeit

Das Kunstwort Phaemo® umfasst Phänomen und Emotion. Der Hamburger Psychologe Joachim Lempert hat es geprägt. Während ich bei ihm dazu in der Weiterbildung war12010 bis 2017, zu Gewaltberatung und Tätertherapie, stellte sich für mich, als Vertreter der Sozialen Arbeit, die Frage, worin sich Konstruktivismus und Phänomenologie unterscheiden. Die Antwort, die sich darauf fand, führte dazu, in der Praxis für die Sachen selbst Vorannahmen und empirisches Wissen über das zu Untersuchende auszuklammern, das Fühlen in den Vordergrund zu stellen und auf die Phänomenologie von Beratungen zu achten.

Radikaler Konstruktivismus, der ohne fundamentale Strukturen des Seins oder seines Wesens auskommt, steckte anfänglich meinen Deutungshorizont ab. Tief überzeugt betrachtete ich Erfahrungswirklichkeit als individuelle Konstruktion, die keinesfalls als Abbild einer objektiven Realität verstanden werden kann.

So war es kein Zufall, dass ich, als Lempert das Phänomenologische Wahrnehmungsmodell einführte, Watzlawicks

Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.

am passendsten fand.

Phänomenologisches Wahrnehmungsmodell (ausgezogene Pfeile) von Joachim Lempert (eigene Darstellung)

 

Um auf Interpretation, Bewertung und Derivates Gefühl anzuspielen, mag sich das Zitat eignen. Eines, das darauf eingeht, was Welt, Phänomen und Originäres Gefühl in der Beratung bewirken können, war ausser Reichweite.

Mich mit der Phänomenologie2Im Wesentlichen mit der Neuen Phänomenologie, auf die sich Lempert bezieht. Die primären Quellen für diesen Text sind Leib und Gefühl, Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie, Ausgrabungen zum wirklichen Leben, der YouTube-Kanal der Gesellschaft für Neue Phänomenologie und Tom Latkas Topo-Wiki. anzufreunden, führte allmählich dazu, konstruktivistische Überzeugungen zu erweitern oder loszulassen. Wobei einer der Wegbereiter ein Konstruktivist war. Varga von Kibéd nennt seine Form Konsequenten Konstruktivismus. Diese Ausprägung fordert, sich selbst auch als interessante Konstruktion anzusehen. Er spricht zur Einteilung von Sein von einer «Verwurzelung im Bodenlosen». Das war das Scharnier. Verstehend, liess sich von da aus der Bogen zur Phänomenologie schlagen. Auf Wer ist im Bodenlosen verwurzelt? mit Hermann Schmitz’ Leib zu antworten, lag nahe.

Hermann Schmitz verweist auch bei der unmittelbaren Wahrnehmung, dass etwas bereits da ist, auf die zentrale Rolle des Leibes. Das ist besonders tragfähig, wenn auf Lemperts Modell der Denkraum für Welt, Phänomen und Originäres Gefühl offen gehalten und Leiblichkeit, als Begriff für umfängliche Verkörperung einer Person, gegenübergestellt wird. Hartmut Rosa zeigte hierzu auf,

dass Menschen immer schon in eine Welt hineingestellt sind. Der erste Bewusstseinsfunke beim Aufwachen am Morgen oder nach einer Narkose, vermutlich der erste Bewusstseinseindruck auch eines Neugeborenen ist der einer Gegenwart(…).3Rosa, Hartmut. (2018). _Unverfügbarkeit_. Residenz Verlag. S. 12.

Mit Unterstützung von Paul Hoyningen-Huene liess sich zu den Schwächen des Konstruktivismus schliesslich sagen, dass er dazu tendiert, die Frage Wie können wir etwas wissen? mit der Frage Was ist real? zu vermischen. Hoyningen-Huene machte mir deutlich, dass die Eigenständigkeit der Welt von unseren Erkenntnissen nicht aufgehoben wird, bloss weil unser Wissen sozial konstruiert sein kann. Es entstand Klarheit dazu, wie einengend angewandter Sozialkonstruktivismus in Beratungssituationen wirken kann. Das phänomenologische Wahrnehmungsmodell (mit einer Welt, die aus sich heraus existiert) als Gesprächsgrundlage zur Frage nach akzeptabler Abdrift anzubieten und Leiblichkeit als stabilen Anker in einem potenziell chaotischen Diskurs über Wirklichkeit und Werte zu betrachten, entpuppte sich als fruchtbare Erweiterung der Praxis.

Was ist das zu Tuende?

Zu diesem Zeitpunkt fand sich das vermisste Zitat:

(…) Selbstverwirklichung [besteht] nicht allein in der Entwicklung der eigenen Fähigkeiten. Vermittelt über diese »Fähigkeiten und Potentiale« bedeutet Selbstverwirklichung vielmehr einen Vorgang tätiger Weltaneignung. Selbstverwirklichung wird demnach nicht als Verwirklichung von etwas und nicht als eine Art von »innerem Wachstum« oder als »Entfaltung« verstanden (Wie beispielsweise in der »Humanistischen Psychologie«), sondern als eine Weise des Tätigseins. Man verwirklicht nicht sich, sondern sich in dem, was man tut. Zu verwirklichen hat man sich, sofern man erst durch diese »Entäusserung« aus der »Nacht der Möglichkeiten in den Tag der Wirklichkeit« (Hegel) tritt.4Jaeggi, Rahel. (2016). Entfremdung. Suhrkamp Verlag. S. 284.

Es nimmt auf, dass die Frage nach dem zu Tuenden Lern- und Erfahrungsprozesse in Gang bringen will. Für diese Erkenntnis bin ich Joachim Lempert dankbar: Sein «Was tust du jetzt?» ist nicht zuerst auf Zielverwirklichung ausgerichtet, sondern auf die Reflexion zum eigenen Prozess. Die Aufmerksamkeit liegt auf dem Wie des Handelns, darauf, ob wir uns in unseren Entscheidungen entfalten und entwickeln.

Was Geltung hat

Die Beschaffenheit des philosophischen Systems von Hermann Schmitz ist durch «Was zwingt gerade mich, etwas zu einer Zeit, an einem Ort, gelten zu lassen?» ausgedrückt.

Weil «Soziale Arbeit Arbeit am Sozialen ist, nicht am Körper und nicht an der Psyche»5Seydel, Stefan M., dissent.is., kann Repräsentantinnen und Repräsentanten der Disziplin an dieser Stelle aufgehen, dass es für sie ausgeschlossen ist, die Praxis der Phaemomethode®, die ihr Entwickler als Teilgebiet der humanistischen Psychologie bezeichnet, in ihrer Gänze zu übernehmen.

Mir ist es wichtig, methodische und theoretische Vertiefung zu Joachim Lemperts Sachen an der heimatlichen Profession festmachen zu können. Die Frage dazu lautet: Was unterstützt Individuen hinsichtlich Selbstbestimmung und -ermächtigung?

Auf zwei Gebiete der Neuen Phänomenologie, die hierzu ergiebig sind, wollen wir noch eingehen.

Affektives Betroffensein

Gefühle sind wie bloße leibliche Regungen Weisen des affektiven Betroffenseins, das dem Betroffenen nahe geht, ihn mit sich nimmt oder gar mitreißt, keineswegs aber private Zustände, die man bei sich vorfindet und (als Lust) begrüßt oder (als Unlust) wegwünscht, und ebenso wenig Akte, mit denen man von sich aus ein Objekt aufsucht.6Schmitz, Hermann. (2016). Ausgrabungen zum wirklichen Leben. Verlag Karl Arber, München. S. 20.

Das sagt Hermann Schmitz in «Ausgrabungen zum wirklichen Leben». Wir verzichten hier darauf, nachzuzeichnen, wie er diese Darstellung begründet und kehren zur Einleitung dieses Textes zurück. Auf die anfänglich zur Verfügung stehende Erfahrungswirklichkeit blickend, ist jetzt zu erahnen, dass der Einbezug der Möglichkeit, mein zu beratendes Gegenüber und ich seien affektiv betroffen, den Handlungsraum in der Beratungspraxis radikal erweitert.

Situationen

Was Hermann Schmitz zu Situationen sagt, ermöglicht es, über gängige Problemlösungsverfahren hinauszugehen, weil anhand des Gesagten Strukturen und Dynamiken, die menschlicher Erfahrung zugrunde liegen, adressiert werden können.

Was der allgegenwärtige (naturwissenschaftlich orientierte) Reduktionismus, so Schmitz, unter den Tisch fallen lässt, sind die «Situationen». Eine Situation ist der konkrete Gegenstandstyp der Lebenserfahrung. Das Spezifische der Situationen ist nach Schmitz der Ruf ihrer Bedeutsamkeit, bestehend aus Sachverhalten, Programmen und Problemen, die nicht sämtlich einzeln, sondern zu chaotisch mannigfaltiger Ganzheit verschmolzen sind.

Jenseits von Ordnung und Chaos

Schmitz‘ Ausdruck «chaotische Mannigfaltigkeit» meint eine Binnendiffusion, die Akzeptanz dazu erfordert, dass unter den Elementen des Mannigfaltigen keine durchgängige Entschiedenheit dazu erfüllt ist. Es ist aber nicht an Chaos im Sinne von Verworrenheit oder verworrenem Durcheinander zu denken, sondern an Verschwommenheit. Situationen können aktuell oder zuständlich sein, privat oder gemeinsam. Sie können sich als gegenständlich oder als subjekt- und objektunverteilbar übergreifend erweisen.

Eigenschaften der Persönlichkeit

Demnach ist die Persönlichkeit eines Menschen seine persönliche Situation, die viele Situationen in sich trägt und in viele eingebettet ist.

Bedeutung von Eindrücken

Unter den Situationen sind die Eindrücke diejenigen, die in einem Augenblick ganz zum Vorschein kommen. Sie sind vielsagend, weil sie dank des chaotischen, mannigfaltigen Hofes ihrer Bedeutsamkeit mehr zu verstehen geben, als sich einzeln sagen lässt. Vielsagende Eindrücke, wie beim Betrachten eines interessanten Gesichts, eines Porträts, einer eigenartigen Naturstimmung oder beim Betreten einer Wohnung, die einem gleich behaglich oder kahl vorkommt, noch ehe man sich umgesehen hat, vielsagende Eindrücke sind die genuinen Einheiten der Wahrnehmung. Zwischen den Spitzen der auffälligen Eindrücke gibt es die Scharen der unauffälligen, an denen wir uns ständig unwillkürlich orientieren. Eindrücke können ausser dem Hof ihrer Bedeutsamkeit auch beliebige andere Gegenstände, zum Beispiel dingliche oder sinnliche Kerne, enthalten.

Wahrnehmend verstehen

Damit kehren wir zum phänomenologischen Wahrnehmungsmodell zurück. Mit Welt, Phänomen und Originäres Gefühl klopfen wir Mannigfaltiges auf Halt ab. Wir fragen, wie Individuen ihre Erfahrungen und Eindrücke verwerten und wie das ihr In-der-Welt-sein beeinflusst.

Philosophische Ergänzung

Sozialarbeiterisch können wir uns, ähnlich wie bei Hans Thiersch7«Lebenswelt ist zunächst ein beschreibendes, phänomenologisch-ethnomethodologisch orientiertes Konzept. Der Mensch wird nicht abstrakt als Individuum verstanden, sondern in der Erfahrung einer Wirklichkeit, in der er sich immer schon vorfindet.» Grunwald, Klaus. Thiersch, Hans (Hrsg.). (2004). Praxis Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit. Juventa Verlag, Weinheim und München. S. 20., auf das Sein in der Welt von Menschen konzentrieren. Weil alle Menschen mit einer Sozialität ausgestattet sind, müssen wir über Selbstverständnisse hinausdenken. Nicht im Namen einer

Avantgarde, die die Bevölkerung zu ihrem Glück zwingen will8Adamczak, Bini. (2017). Beziehungsweise Revolution. Suhrkamp Verlag. S. 254.,

oder indem wir der

Gewalt des Utopiefetischs, eine perfekte Welt imperfekten Bewohnerinnen aufzwängen9 ebenda.,

erliegen.

Dabei greift uns die Tatsachensubjektivität, ein zentraler Begriff der Neuen Phänomenologie, unter die Arme. Er hilft beim Unterfangen, in der lebensweltorientierten Beratungspraxis die Wirklichkeit weder als Konstruktion anzusehen noch sie epistemisch zu binden. Im Vergleich zur Erfahrungswirklichkeit ermöglicht Tatsachensubjektivität, die Sicht eines erlebenden Subjekts zu erhalten, ohne dabei die Existenz einer objektiven Realität zu leugnen. Mit Hinweisen zur Verflechtung von Wahrnehmendem und Wahrgenommenem debattiert die Tatsachensubjektivität aber auch die strikte Trennung zwischen Subjekt und Objekt. Sie berücksichtigt die leibliche Erfahrung als grundlegenden Aspekt der Wirklichkeitswahrnehmung und betont den dynamischen Charakter von Erfahrungen und Wahrnehmungen. Letztlich führt sie uns zur Intersubjektivität, der Anerkennung geteilter Erfahrungen und Bedeutungen.

 

Geburtstag

Könnte man Paul Feyerabend zum Zweck von Geburtstagen befragen, würde er wohl vorschlagen, zelebrierend methodische Zwangsjacken des Erwachsenwerdens abzustreifen.

Ein betroffenes Subjekt könnte sich gerade an diesem Tag einen Deut darum scheren, Erwartungen zu entsprechen oder sich an bewährte Methoden zu halten. Erwartetes, beziehungsweise Methodisches, das sich zu bewähren scheint, sollte stattessen auf Unvergleichbarkeit abgeklopft werden.

Ob solches Handeln geeignet ist, den subjektiven Bedarf dazu hervorzubringen, nach Protokoll zu feiern oder eigenen Ritualen zu entsprechen, bleibt an dieser Stelle offen.

Kiesstrand

Dem Kiesstrand entlang schlendern, einen Stein auflesen, einen anderen liegen lassen

Was auf dem Kiesstrand geschieht, betrifft zuerst, was den Erzählungen der Menschen entnommen wird, die Beratung in der Praxis für die Sachen selbst beanspruchen. Und dann, woran die Entscheide festgemacht sind, was von Philosophinnen und Philosophen während einer Beratung eingebracht wird. Gerade heute sind das Überlegungen von

  • Rahel Jaeggi, weil sie Individuen nicht paternalistisch kritisieren will, sondern sich um die Strukturen, die den Individuen Entscheidungsmöglichkeiten vorgeben, kümmert;
  • Susan Neiman, für die Erwachsensein ein Balanceakt ist: Ständig ein Auge darauf zu haben, wie die Welt ist, ohne aus dem Blick zu verlieren, wie sie sein sollte;
  • Hermann Schmitz, weil er der reduktionistischen Introjektion eine Form der Intersubjektivität gegenüberstellt, die er affektives Betroffensein nennt;
  • Bernhard Waldenfels, weil er in jedem Versuch einer verstehenden oder erklärenden Rationalisierung von Gewalt einen Schleichweg sieht;
  • Peter Sloterdijk, weil sich bei ihm Sachen zum radikalen Selbstbezug finden1«Wenn der Mensch in sich hineinschaut, dann findet er, wie Gottfried Ben es einmal sagt; ‹Ich blickte in mich hinein und was fand ich? Ich fand die Soziologie und die Leere.› Das heisst, ich finde Leute und nichts. Und das Nichts bin ich. Dieses Unbestimmte, das noch alles werden kann, diese totipotente Zelle eines absoluten Lebensgefühls, um das herum entwickeln sich die Freiheitsimpulse. Und was dazukommt, ist eine Erfahrung, die schon Kinder erleben, die vielleicht das stärkste Freiheitsgefühl haben: Selbst der Anfang einer Ursachenreihe sein können.»;
  • Matthias Ohler, weil nach ihm das zu Tuende ist, die Sachen der Philosophinnen und Philosophen in ein Dienstleistungsverhältnis zu bringen;
  • Hannah Arendt, weil sie, während sie arbeitete, an Wirkung nicht interessiert war und von
  • Barbara Gründler: weil es «[n]ach dem vorsichtigen Einträufeln des bitteren und schwer zu metabolisierenden Gegengifts der Philosophie (…) zu einer allmählichen Desillusionierung der durch asketische Ideale Verzärtelten und einer befreienden Abkehr von Glaubenssätzen jeder Art kommen» kann2Gründler B. (2019). Von seelischer Selbstvergiftung und Hasskonserven: das Ressentiment im Sprachspiel der Psychiatrie. wbg Academic, S. 354.

Mit dem Angebot der Praxis für die Sachen selbst stehe ich Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.

Erst schreiben, dann fragen

Die Texte auf gegenwartundstruktur.net sind mit Zetteln verwoben, die sich in einem Backlog ansammeln. Dafür wurde lange Zeit eine, von der Öffentlichkeit weitgehend abgeschottete, WordPress-Installation verwendet. Seit Oktober 2023 ist obsidian.md Zettelkasten und Schreibwerkstatt. Als Lagerraum bietet das Programm einschlägige Möglichkeiten Fundstücke, wie Zitate und Gedanken, abzulegen und mittels Link, Kategorien und Schlagwörtern untereinander zu vernetzen. Jedes Fitzelchen wird zettelweise ans Lager genommen. Betreffnisse (Begegnungen mit Zitaten und Gedanken) sollen der Bewertung lagerwürdig entzogen bleiben, indem im Vordergrund gehalten wird, dass es um Herstellung, Kategorisierung, Verschlagwortung, Ablage und Überarbeitung von einzelnen Zetteln geht. Erst ans Lager nehmen, dann fragen, was ans Lager genommen wurde, ist die Übung.

Dem Backlog wird zu einem Text, der sich in Entstehung befindet, in verschiedener Weise auf den Zahn gefühlt: Es kann auf die Verschlagwortung von Zetteln abgestellt werden, auf die Kategorien, denen die Zettel zugewiesen wurden, als auch auf die Volltextsuche. Was dabei erscheint, lässt sich grob in erwartet, überraschend und keine einteilen. Erwartetes dient der (Selbst-) Vergewisserung, Überraschungen (bspw. unerwartete Zettel) liefern Denkanstösse, während keine Ergebnisse der Anfang einer Suchbewegung ausserhalb des Backlogs sein können.

Erst schreiben, dann fragen steht dem Auftrag gegenüber, der mit einem Backlog üblicherweise verfolgt wird. Die einzige spezifische Aufgabe ist, Sachen ans Lager zu nehmen. In Verbindung mit der Produktion von (öffentlich zugänglichen) Blogbeiträgen können die im Backlog hinterlegten Kategorien als Überschriften von Tasks (Aufgaben) angesehen werden.

Aggression

Aggression muss an den Tag. Im Traum knirscht sie mit meinen Zähnen.1vgl. hierzu: Jesper Juul, Aggression, Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist, S.Fischer Verlag, Frankfurt, 2013 Sie steht «anything goes!» gegenüber, das weder in beraterischer, noch lebenspraktischer Hinsicht funktioniert. Paul Feyerabend sagt:

Die Weise, in der soziale Probleme und Probleme der Wechselwirkung von Kulturen untersucht und gelöst werden, hängt (…) von den Umständen ab, unter denen sie entstehen, den Mitteln, die zur Zeit verfügbar sind, und den Wünschen der Menschen, die sich mit ihnen beschäftigen. Es gibt keine Bedingungen, denen das menschliche Denken und Handeln immer und unter allen Umständen unterworfen ist.2Irrwege der Vernunft, Suhrkamp, 1996, S.440

Damit ist nicht gemeint, dass alles gelten soll. Menschen, die alles gelten lassen, jeden noch so grossen Widerspruch, landen beim Opportunismus. Dort geht es aggressionsgehemmt zu und her.

Der andere Paul3s.a. Aber ein Paul hilft doch dem anderen, Paul Feyerabend – Paul Hoyningen-Huene Briefwechsel 1983-1994, Passagen Verlag, 2010, Hoyningen-Huene, erklärt in Systematicity, The Nature of Science4Systematicity, The Nature of Science, Oxford University Press, 2013, dass jede Deskription Weglassungen ausgesetzt, und damit Abstraktion ist. Das betrifft besonders das Zustandekommen von Wissen. Alltagswissen ist im Vergleich zur Wissensform Wissenschaft statischer. Wissenschaftlichkeit bleibt durch (systematische) Vorhaben, wie Beschreibung, Ausdehnung, Vorhersage, Verteidigung, Kritischer Diskurs, Epistemische Verbindung usf., beweglicher. In der Praxis für die Sachen selbst lautet darum eine Frage: Was kann, statt mit Interpretation, mit forschendem Interesse an den Tag befördert werden? In Beratungen auf Interpretationen zu verzichten, bedeutet, sich, dem Nächstbesten (mitunter aggressiv) entgegenzustemmen. Ganz wie bei Petzold:

[I]m Sinne einer „systematischen Heuristik“ (…) und eines systematischen spielerischen Denkens (…) nach kompatiblen Methoden oder verwandten Theorien (…) suchen, die eine situative Stimmigkeit, eine „ökologische Validität“ (…) zu gewährleisten versprechen.5Integrative Therapie, 2. Modelle, Theorien und Methoden für eine schulenübergreifende Psychotherapie, 1993, S. 474

Wer Beratung in der Praxis für die Sachen selbst in Anspruch nimmt, kümmert sich alltagsbezogen um die persönliche Integrität und wird sich in wissenschaftlicher Hinsicht hiermit beschäftigen: Was muss gerade ich, zu dieser Zeit, an diesem Ort, gelten lassen?

Zur Bedeutung von Aggression besteht in der Praxis für die Sachen selbst keine Einigkeit mit Erich Fromm. In seiner Anatomie der menschlichen Destruktivität sagt er:

Wenn wir uns darauf einigen, als «Aggression» alle Akte zu bezeichnen, die einer anderen Person, einem Tier oder einem unbelebten Objekt Schaden zufügen oder dies zu tun beabsichtigen, dann sind die vielen verschiedenen Arten von Impulsen, die man unter der Kategorie «Aggression» zusammenfasst, grundsätzlich daraufhin zu unterscheiden, ob es sich bei ihnen um die biologisch adaptive, dem Leben dienende, gutartige Aggression oder um die biologisch nicht adaptive, bösartige Aggression handelt.6Anatomie der menschlichen Destruktivität, Rowohlt, 2015, S. 209

In der Praxis für die Sachen selbst werden Akte, die einer Person oder einem Tier Schaden zufügen, als Gewalt bezeichnet. Solche Absichtserklärungen werden als Drohungen angesehen. Menschengemachte Beschädigung unbelebter Objekte ist davon ausgenommen (und als Sachbeschädigung bezeichnet). Statt zwischen gutartiger und bösartiger Aggression wird zwischen Gewalt und Aggression unterschieden. Begrifflich wird Aggression ursprünglich verwendet:

(…) Aggression im buchstäblichen Sinn der Wortwurzel – aggredi von ad gradi (gradus bedeutet «Schritt» und ad «auf etwas zu», was also so viel heisst wie «sich auf etwas zu bewegen», gehen, schreiten) -, ähnlich wie Regression von regredi kommt und «sich zurückbewegen» bedeutet. (…) Aggressiv sein in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes, heisst so viel wie auf ein Ziel losgehen (…)7Ebd. S. 212

Gestalteter Lebensvollzug ist mit Aggression verzahnt. Das bedeutet, eigener Instabilität offensiv zu begegnen, als auch eigenes Widerstreben laut werden zu lassen.

Merkmale

Autonom eine Entscheidung fällen zu können, ist davon abhängig, dass einer Person die Frage «Was soll ich tun?» etwas bedeutet und das, wozu sie einen Entscheid zu fällen hat, etwas mit ihr zu tun hat. Die Person soll mit dem Gegenstand der Entscheidung und der Frage dazu identifiziert sein.

Auslegung in der Praxis für die Sachen selbst ist bestimmt durch

Vertrauen darin, dass personales Wachstum möglich ist,

Erfahrung, im Hinblick darauf, dass jede Person in der Lage ist, sich auf sich selbst zu beziehen,

Vermutung, mit der sich vor Augen zu halten ist, eine bestimmte Hermeneutik auf die Narrative der zu beratenden Person zu legen und in einem zweiten Schritt, was ihre Erzählung, unter Beizug phänomenologischer Gesichtspunkte, sein könnte.

Die Gespräche in der Praxis für die Sachen selbst orientieren sich an Beschrieben, an Bildern, an Gefühlen und an der Revision von Dargebrachtem.

Persönliche Revolution besteht niemals darin, plötzlich draufzukommen, sich komplett geirrt zu haben. Der eigene Deutungshorizont verändert sich langsam. Dieser Umstand wird zur Quelle, kristallisieren sich Probleme heraus, um die sich plötzlich das ganze Leben zu sortieren scheint. Unsere Sicht auf das eigene Dasein ist kein Kippbild. Wir sind in der Lage den Spuren zu folgen, die unsere Sichtweise beeinflussen. Wir vermögen es, was bei der Lösung eines Problems als Störung auftritt, als Vorboten anzusehen: Was in Verbindung mit Unlösbarkeit als Störfaktor erscheint, ist dabei oft die Urform der Lösung.

Es lohnt sich, über Wert- und Normvorstellungen zu sprechen. Oft sind hier lähmende Widersprüche zu finden. Die Widersprüche werden bleiben. Die Möglichkeit an ihnen zu wachsen auch.

Wozu Umwertungen gut sind

Interpretation und Bewertung von Phänomenen findet statt.

Wozu ist das Phänomen gut?, wenn es als schlecht bewertet wird, führt unter Umständen wieder in seine Nähe.

Denn [d]er Logos der Phänomene, den das phänomenologische Philosophieren für sich in Anspruch nimmt, zeichnet sich dadurch aus, daß er nicht über etwas spricht, ohne zugleich von etwas her zu sprechen. (…) Er läßt also eben das, worüber er spricht, zur Erscheinung, zu Wort kommen oder in »eigener Person« auftreten, wie Husserl bühnennah formuliert.1Waldenfels (Suhrkamp, 2012). Hyperphänomene: Modi hyperbolischer Erfahrung. S. 142

Zur Praxis in der Nähe von Phänomenen und Gefühlen

Nachfolgendes geht auf Beratungspraxis ein, die sich an Joachim Lemperts Methode orientiert.1Als eine weitere Ausprägung der humanistischen Psychologie wird sie seit 2012 Phaemo-Methode® genannt. Das Kunstwort Phaemo® umschliesst Phänomen und Emotion. Während Hilarion Petzold erklärt;

[Es] kann nicht bei den Phänomenen stehen geblieben werden[,]

Integrative Therapie, 1. Klinische Philosophie, S. 16

postuliert Joachim Lempert:

Jedoch sehr wohl in ihrer Nähe!

Er verknüpft pädagogische, beraterische, als auch therapeutische Handreichungen eng mit der Neuen Phänomenologie. Im Zentrum seiner Landschaft steht das phänomenologische Wahrnehmungsmodell.

Was unmittelbar da ist, während Klientinnen und Klienten in der Beratungsstunde mit Sachen, anderen Menschen oder sich selbst befasst sind, ist in meiner Praxis von Belang. Zuerst bezogen auf Gegenwart und Struktur. So wird beispielsweise strukturell zwischen Empfinden, Fühlen und Gefühl unterschieden. Mit Empfinden ist das bezeichnet, was Menschen körperlich wahrnehmen (Jucken, Muskelspannung). Gefühle werden räumlich verstanden. Eher soziologisch, überindividuell, atmosphärisch. Mit Fühlen ist das gemeint, was an solcher Atmosphäre gespürt wird. Dass Gefühle nicht in erster Linie in Menschen, sondern in Räumen zu Hause sind, findet sich beim Kieler Philosophen Hermann Schmitz. Er hat ein philosophisches System namens Neue Phänomenologie2Interview mit Hermann Schmitz entwickelt. Im Gegensatz zum Begründer der Phänomenologie, Edmund Husserl, der von 1859 bis 1938 im deutschsprachigen Europa gelebt hat, stellt Hermann Schmitz auf Sachverhalte und nicht einfach auf Sachen ab. Husserl geht mit seinem Appell «Zu den Sachen selbst!» davon aus, dass sich eine Sache mittels Reduktion der Wirklichkeit genau bestimmen lässt. Ich zeige auf die Sache und sage, was sie ist. Schmitz zweifelt das an, indem er fragt: «Was zwingt mich, etwas zu einer Zeit an einem Ort gelten zu lassen?»3 Schmitz, H. (2014). Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie (4. Auflage). Freiburg München, Verlag Karl Alber Bei Schmitz ist aus bestimmten Gründen mein Fingerzeig infrage gestellt und daher von Revision der Wirklichkeit die Rede.

Der Phänomenologie ist diese philosophische Untersuchungsweise für die Praxis entlehnt. Es geht um die Sache und ihre Erscheinung. Solche Untersuchung ist mit der Prüfung verknüpft, wie die erscheinende Sache verstanden, was zu ihr wahrgenommen und gedacht wird.4Zahavi, D. (2007). Phänomenologie für Einsteiger. Paderborn, Fink, S. 13 Von mir aus gesehen, als derjenige, der auf eine Sache zeigt, geht es gleichzeitig um das Beschreiben der Sache, das Beschriebene und mich als beschreibende Person. Die Frage nach dem Phänomen ist der Versuch, sich dem zuzuwenden, was jetzt gerade ist. Sie ist mit der Frage nach der Ursache zwar verwandt, die Fragen verbindet Neugierde und Forschungsgeist, was sie trennt, ist die Forderung nach Ergebnissen. Es geht in der Beratung darum, die Ursachenforschung in den Hintergrund treten zu lassen und sich auf die Darlegung von aktuellem, gegenwärtigem Dasein und Betroffensein zu konzentrieren. Menschliches In-der-Welt-Sein soll für einen Moment weder Dekonstruktion, noch Konstruktion ausgeliefert sein.

Um zu vertiefen, was mit phänomenologischer Sicht gemeint sein könnte, wollen wir nun auf die Betrachtungsweise eines Zwölfjährigen eingehen. Als der Eigner nachfolgender Geschichte in diesem Alter war, versuchte ihm sein Vater, ein erfahrener Pädagoge, auf eine Prüfung hin, vergeblich den Sinn von Sprichwörtern zugänglich zu machen.
An der Prüfung wurde der Erzähler (und Eigner) der Geschichte zur Bedeutung von «Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm» befragt. Er schrieb: «Ja, das stimmt, aber wir wohnen an einem Hang». Wenn wir nun Hermann Schmitz‘ Frage nehmen: «Was muss ich zu einer Zeit, an einem Ort gelten lassen?», lässt sich anhand dieser Geschichte feststellen, dass ein Ich gegenwärtig und räumlich jeweils präzise an einer Stelle sein kann. Während der Eigner sie mir erzählte, lachten wir beide herzlich. Für den Eigner der Geschichte war sein Metaphern-Erlebnis als Kind mit Unverständnis und Ärger verbunden. Das in seinen Augen Offensichtliche wurde (durch eine erwachsene Position) in Mitleidenschaft gezogen.

Ein Ich kann in der Gegenwart alles sein. Es kann sich als Kind vorstellen, ein alter Mann zu sein. Als alter Mann kann das Ich in seiner Erinnerung zu seiner Kindheit zurück. Solches (vorgestelltes) Sein unterscheidet sich jedoch fundamental von dem, was ein Ich, phänomenologisch verstanden, unmittelbar umgibt und betrifft. Das ist die Ausgangslage in meiner Beratungspraxis. Was ist hier? Jetzt? In diesem Moment? Mit mir los? Was sehe ich? Was höre ich? Was denke ich? Und was empfinde ich dabei?

Gefühle stellen die Verbindung zwischen uns und der Welt dar. Was in der Welt an Phänomenen aufscheint, ist mit Gefühlen verbunden, welche wir mit originär überschreiben wollen. Bewertung wollen wir auf Abwertungen untersuchen. Das ist in der Praxis als Vorhaben höher gewichtet, als Interpretation auf Missinterpretation zu untersuchen.

Das steht in Verbindung mit einer anderen Form von Gefühlen. Sie sind auf Lemperts phänomenologischem Wahrnehmungsmodell mit derivat bezeichnet.5vgl. Lempert, J. & Oelemann, B. (2006). Handbuch der Gewaltberatung (2. Aufl.). Hamburg, OLE-Verl.

Zur Qualität von Gefühlen wird zuerst geschaut, wie sie zu den Phänomenen passen und wie lange sie andauern. Dazu sind Ichs auf Selbstzugänglichkeit6Jaeggi, R. (2016). Entfremdung: zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems: mit einem neuen Nachwort (Erste Auflage). Berlin, Suhrkamp, S. 183 angewiesen. Dem Beratenden und der Person, die sich beraten lässt, stellt sich die Aufgabe gleichermassen: Sich mit der eigenen Empfindungskompetenz in der Beratungsstunde einzubringen. Ich zeige mich in der Interaktion mit einem Gegenüber mit dem, was ich bei mir wahrnehme, während mir mein Gegenüber von sich erzählt. Ein originäres Gefühl hängt am Phänomen, feuerwerksgleich, wird gross, vergeht und wird durch ein neues Gefühl abgelöst. Hermann Schmitz sagt dazu in seinem Buch Leib und Gefühl, dass die Faszination und das Ergriffensein, auf das alltägliche, zwischenmenschliche Erleben bezogen, als zentral anzusehen sind. Auch Menschen mit wenig Begabung, sich körperlich auszudrücken (beispielsweise tanzend), sind in der Darbietung ihrer Affekte durch Gebärden nicht behindert. Demnach kann sich kein Subjekt zu seinem affektiven Betroffensein ganz gleichgültig stellen.7vgl. Schmitz, H. (2008). Leib und Gefühl: Materialien zu einer philosophischen Therapeutik (3., erw. Auflage). Bielefeld Locarno, Ed. Sirius In seinem letzten Buch, «Ausgrabungen zum wirklichen Leben» schreibt Schmitz: «Nicht, was der Mensch sich vornimmt, sondern das, was er frisch im Augenblick als Gesinnung in sein affektives Betroffensein einsetzt, und damit die Art, wie er als affektiv Betroffener jeweils bei der Sache ist, gibt ihm kausale Macht, aus eigener unabhängiger Initiative.»8Schmitz, H. (2016). Ausgrabungen zum wirklichen Leben: eine Bilanz (Originalausgabe). Freiburg, Verlag Karl Alber, S. 130

Auf das Wahrnehmungsmodell übertragen: Solchem Betroffensein stehen Interpretation und Bewertung gegenüber. Sie sind die Platzhalter für das Verstrickt-Sein mit Subjektivität. Ohne Austausch mit der Welt und den Menschen, auf sich zurückgeworfen, ist für ein Ich Entfaltung schwierig zu bewerkstelligen. Selbstredend ist hier an Austausch und an Menschen gedacht, die Entfaltung ermöglichen. An Interpretation und Bewertung hängen auch derivate Gefühle. Sie werden als statisch und abrufbar empfunden, sind immer da. Wie eine Fototapete, die langsam vergilbt. Derivat wird hier im Sinne von Ableitung verwendet. Schönheit wird von schön abgeleitet. Solche Gefühle können auch mit «von Gedachtem abgeleitet» oder mit «hausgemacht» bezeichnet werden. Um auf die eigene Empfindungskompetenz zurückzukommen: Was Personen, die sich von mir beraten lassen, zu ihrem Sein in der Welt erzählen, wirkt nicht bloss inhaltlich. Mit meinem Betroffensein bringe ich mich fallabhängig dann ein, wenn es sich vom Betroffensein meines Gegenübers unterscheidet. Gerade in Zusammenhang mit derivaten Gefühlen. Schulz von Thun sagt es so: «[Der Schüler] ist (…) umgeben von Richtern (Lehrern) und Rivalen (Mitschülern) – Er muss “gut” sein und mehr noch: er muss besser sein als die anderen, um auf den “grünen Zweig” zu kommen. Die Angst vor Richtern und Rivalen kommt also nicht von ungefähr. Darüber hinaus wird die Angst jedoch meist zu einem ständigen Lebensbegleiter und auch auf solche Situationen übertragen, die an sich keinen Wettbewerbs- und Tribunalcharakter tragen.»9Schulz von Thun, F. (1981). Miteinander reden: Störungen und Klärungen: Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation (Originalausg). Reinbek bei Hamburg, Rowohlt, S. 106

Herauszufinden, wann es sich lohnt, Angst zu haben, ist essenzielles Beratungsziel. Die Qualität des Gefühls spielt dabei die Hauptrolle. An seiner Stimmigkeit hängt das Phänomen. Wir sind dann in der Nähe eines Phänomens, wenn Gefühle bengalisch aufleuchten. Um das Aufleuchten zu beschreiben, eignen sich Wörter wie: enthusiastisch, matt, verliebt, taub, erniedrigt, ungeduldig, aufgeregt, nervös, leidvoll, demütig, knorrzig, attraktiv, glücklich, verunsichert, verwirrt, spitz, mitleidig, erregt, geil, gedemütigt, neugierig, hilflos, hoffnungslos, erschrocken, angewidert, ehrgeizig, verletzt, hasserfüllt, stolz, einsam, gerührt, romantisch, verbunden, angenommen, erhaben, traurig, wütend, ängstlich, schamvoll, zuversichtlich, erleichtert, vorfreudig, freudig, gelangweilt, sehnsüchtig, enttäuscht, frei, lustlos, stumpf, ohnmächtig, verliebt, hoffnungsvoll, ärgerlich, gekränkt, bedrückt, angeekelt, fröhlich, beklemmt, mutig, neidisch, bedrängt, lustvoll, heiter, dankbar, panisch, erschlagen, geborgen, verzweifelt.

Diese gemeinsame Basis ist als Raum gedacht, in dem die zu beratende Person Boden der Tatsachen erfahren kann. Um es mit Hilarion Petzold zu sagen: «Man kann wahrnehmend ”auf dem Boden der Tatsachen“ mit der Wirklichkeit in Kontakt kommen oder in ”elementaren Erfahrungen“.»10Petzold, H. (1993a). Integrative Therapie. Bd. 1: Klinische Philosophie. Paderborn, Junfermann, S. 515

Zur Selbstzugänglichkeit, welche die Philosophin Rahel Jaeggi in «Entfremdung» entwickelt, gehört emotional adäquate Reaktion. Damit meint sie, die Fähigkeit zu haben, beispielsweise bei Verlusten und Kränkungen zu trauern und sich auf diese Reaktionen beziehen zu können. Ein adäquates Selbstverständnis ist in der Lage, solche Reaktionen zu integrieren, ein inadäquates unterdrückt sie.

Während die Psychologie fordert, die Menschen müssten wieder lernen zu empfinden11vgl. Gruen, A. (2013). Dem Leben entfremdet: warum wir wieder lernen müssen zu empfinden. Stuttgart, Klett-Cotta, fragt die Philosophie nach dem Was. Was ein Gefühl ist, unterliegt grossen theoretischen Widersprüchen. Für die Praxis leitet sich daraus ab, definitorisch Vorsicht walten zu lassen. Hierbei hilft der Psychologe Hilarion Petzold, der in seinen Grundlagen die Weitläufigkeit der Gefühle und des Fühlens, als auch die Notwendigkeit von Einteilungsversuchen (durch die Psychologie und die Philosophie) anerkennt und einer bestimmten Ontologie folgt.12vgl. Petzold, H. (1993a). Integrative Therapie. Bd. 1: Klinische Philosophie. Paderborn, Junfermann Petzold hält sich seinerseits an Schmitz, der die Wirklichkeit, wie gezeigt, an unwillkürliche Lebenserfahrung bindet.

Gefühle bewerten ist zwecklos. Sie sind alle gleich wichtig. Vielmehr geht es um einen, einer Sache entsprechenden, Umgang mit Angst oder Ärger.

Ganz in der Nähe eines adäquaten Umgangs mit Gefühlen findet sich auch der zu den Verhältnissen passende Zugang zu Aggression. Sie muss an den Tag. Im Traum knirscht sie mit meinen Zähne.13vgl. Juul J. (2013). Aggression, Warum Sie für uns und unsere Kinder notwendig ist. S.Fischer Verlag, Frankfurt Ob ich verbal erschlagend, wuchtig bin, um mein Gegenüber umzustimmen, es in eine bestimmte Richtung zu drängen oder ob ich mit meiner Aggression für die Einhaltung meiner Grenzen sorge, unterscheidet sich dramatisch.

Es gibt drei weitere Modelle, die in Verbindung mit dem Vorhaben, jemandem Selbstzugänglichkeit zu ermöglichen, wichtig sind. Nach Joachim Lemperts Kontaktmodell14das sich auf die Kontaktstörungen von L. und F. Perls und Hilarion Petzolds Konzept des Kontakts bezieht lässt sich Interaktion zwischen Menschen drei Kategorien zuweisen: Konfluenz, oder anders gesagt, Verschmelzung, Kontakt und Isolation. Das wechselt sich idealerweise ab. Interaktion wird dynamisch verstanden. Dazu ist an das ansteckende Lachen zu denken, das eine Gruppe vereinnahmt (hier wird von Konfluenz gesprochen) oder an zwei in sich gekehrte Menschen, die sich gegenübersitzen (hier ist von Isolation die Rede). Kontakt ist demgegenüber das, was an den Grenzen von Menschen stattfindet. Je spürbarer ein Ich ist, desto einfacher ist es für das Ich und sein Du, miteinander in Kontakt zu sein und wahrzunehmen, um was es geht, was sie sich wünschen, was sie benötigen, was sie wollen.

Das ermöglicht in der Praxis gegebenenfalls Resonanzverhältnisse, wie sie der Sozialphilosoph Hartmut Rosa beschreibt, um auf das zweite Modell zu kommen. Er versteht Resonanz als Gegenbegriff zu dem, was auf Steigerung von Weltverfügbarkeit und Vergrösserung von Reichweite ausgerichtet ist. Ihm geht es um eine empathische Art des in der Welt seins. Resonanz soll Begegnung mit uns selbst und der Welt ermöglichen. Menschen geht es nicht nur darum, geliebt und anerkannt zu sein, sie sehnen sich, so Rosa, auch nach Momenten unmittelbaren Kontakts, nach ungeteilter Aufmerksamkeit. Rosa geht es nicht um Gleichklang, sondern um diese Merkmale: Ich werde affiziert, berührt, indem mir beispielsweise eine andere Stimme begegnet. Ich antworte körperlich, gedanklich, emotional auf diese Begegnung. Das Wechselverhältnis beginnt sich zu entfalten. Die Folge davon ist eine Transformation, indem ich mich von einer Stimme habe berühren lassen und dieser Berührung so begegnet bin, dass ich mich dabei verändere.
Den Grundmodus nennt Rosa Hören und Antworten. Solche Resonanzbeziehungen lassen sich nicht systematisch herstellen.15vgl. Rosa auf dem Youtubekanal der Heinrich Böll Stiftung über die Soziologie des guten Lebens In «Unverfügbarkeit» sagt er dazu: «Fatalerweise ist es just die Wahrnehmung, dass wir mit dem Gegenüber noch nicht fertig sind, dass da noch etwas ist, welche uns dazu verleitet, dieses Gegenüber gleichsam festzustellen, um es nach Belieben verfügbar zu haben, um sich jederzeit wieder darauf einlassen zu können»16Rosa, H. (2018). Unverfügbarkeit. Wien Salzburg, Residenz Verlag, S. 59. Mit Unverfügbarkeit meint Rosa auch, dass bei zustande gekommenen Resonanzverhältnissen offen ist, wie sie ausgehen. Sich auf Resonanz einlassen heisst, ein Wagnis eingehen. Was das Ergebnis des Resonanzprozesses sein wird, kann nicht vorausgesagt werden. Rosa geht es um das Zurücktönen, was voraussetzt, weder im kompletten Gleichklang, noch in gänzlicher Dissonanz zu sein.

Das bringt uns zum dritten Modell; Petzolds fünf Säulen der Identitität. Auch mit diesem Modell soll ein Gegenüber nicht festgestellt werden. Es ist eine Einteilungshilfe für phänomenologisches Suchen und Finden, um während einer Beratungssunde eine Momentaufnahme zu einer Lebenssituation zu machen. Für Petzold sind Ichs von Zeitlichkeit, Leiblichkeit und Sozialität betroffen. Etwas feiner eingeteilt, lässt sich zur Identität eines Ichs zwischen Leiblichkeit, sinnstiftender Tätigkeit, materieller Sicherheit, sozialen Beziehungen, sowie Werten und Normen unterscheiden. Das unzeitgemässe Wort Leiblichkeit meint mehr als Körper. Was ein 60jähriger an leiblicher Erfahrung hat, geht über solche Erfahrung eines 6jährigen hinaus. Sinn stiftende Tätigkeit ist für einen Jungen im Kindergarten etwas anderes, als für einen Rentner. Auch zu materieller Sicherheit und sozialen Beziehungen werden der Alte und der Junge unterschiedliche Zugänge haben. Ebenso zu Normen und Werten. Wird mit dem Modell gefragt: Was ist hier? Jetzt? In diesem Moment? Was siehst du? Was hörst du? Was denkst du? Und was empfindest du dabei? wenn es also nicht möglich ist, sich zu den Säulen in der Vergangenheit oder in der Zukunft zu bewegen, stellt sich heraus, dass die Säulen unterschiedlich belastbar (im Krisenfall: betroffen), jedoch nie gleichzeitig inexistent sind.

Durch phänomenologische Betrachtung wird gegebenenfalls aus verloren Gedachtem Vorhandenes. Mitunter gerät, ohne zu vernünfteln oder zu psychologisieren, (Handlungs-)Vermögen in den Blick, auf das sich ein Ich beziehen kann.

Lohnen sich praktische Unterscheidungen?

Willenskraft ≠ physikalische Kraft

Was BeobachterInnen von Magnetischem, als physikalische Kraft, erkennen können, sind Anziehung und Abstossung.

Anziehung und Abstossung ist auch zwischen BeobachterInnen erkennbar. Das darf zwar mit der Abstossung und der Anziehung des Magnetischen verglichen werden. Was dazu beobachtet wird, kann aber weder zur Anziehung, noch zur Abstossung, die zwischen BeobachterInnen zu erkennen ist, etwas beitragen. So bringt sich hier Willenskraft, als mögliche Erklärung für das, was sich an Anziehung und Abstossung zwischen BeobachterInnen zeigt, ein.

Ist diese Unterscheidung praktisch? Dafür spricht, dass sich Willenskraft ≠ physikalische Kraft im Alltag tatsächlich ausüben lässt (Ist das Spiel von Magneten oder das von BeobachterInnen zu beobachten?).

Unterscheidungen sind an die Bewusstseine der BeobachterInnen geknüpft.

Dazu, worin gerade bei dieser Unterscheidung der Profit liegen könnte, wird nun gefragt, ob ihre Abwesenheit (was mit den Bewusstseinen nicht zur Verfügung stehend gleichgesetzt wird) profitabler wäre. Das kann verneint werden. Willenskraft ≠ physikalische Kraft ist souverän und damit geeignet, der Welt etwas zu entnehmen.